© Alexander Muchnik

Bye, bye, Ego!

„Bildung als Chance“ ist ein gelungenes Beispiel für Collective Impact: Sozialpartner bündeln ihre Kräfte, um gemeinsam mehr zu erreichen. Doch dafür heißt es, über den eigenen Schatten springen.

„H ... ha ... aus ... Haus!“ „Prima, Marga! Jetzt musst du nur noch ein wenig schreiben, okay?“ Die Elfjährige seufzt, nickt und schnappt sich den Stift. Wie jeden Dienstag ist Intensivkurs Deutsch an der Theodor-König-Gesamtschule im sozialen Hotspot Duisburg-Beeck. In die „Seiteneinsteigerklasse“ gehen knapp 20 Kinder mit Fluchtbiografie. Sie kommen aus Syrien, dem Irak oder Südosteuropa. Der Unterricht ist Teil eines sozialpädagogischen Gesamtkonzepts unter dem Dach von „Bildung als Chance“ – eine Mischung aus individuellem Lernen, Motivation und Coaching. 

Die Bündelung der Kräfte 

Zur Gemeinschaftsinitiative „Bildung als Chance“ hat sich die Haniel Stiftung mit den drei Sozialunternehmen Chancenwerk, Teach First und apeiros zusammengetan. Die Idee der Kräftebündelung: Zusammen für Kinder und Jugendliche mehr zu erreichen als durch getrenntes Handeln. Dabei richten sich die Partner speziell auch an Schulen wie die Theodor-König-Gesamtschule, in der die Bildungsbenachteiligung schwer wiegt. Der Migrationsanteil ist dort besonders hoch. 66% der Schülerinnen und Schüler benötigen zusätzliche Sprachförderung. Die konzertierten Maßnahmen betreffen deshalb nicht nur die sprachliche Förderung oder die Vermittlung elementarer Lernkompetenzen. Auch die kindgerechte Vermittlung von Werten wie Respekt und Toleranz sind zentral. Dadurch wirken sie über den Schulhof hinaus und führen zu einem besseren Miteinander dort, wo Religionen und Kulturen aufeinandertreffen. 

Die Ego-Falle 

Der kooperative Ansatz von „Bildung als Chance“ ist ein relativ junges Modell innerhalb der deutschen Bildungslandschaft. Es heißt Collective Impact und meint, durch die Synergien verschiedener Sozialpartner dem Engagement mehr Wirkung zu verleihen – in der Breite und Tiefe. In unternehmerischer Initiative der Haniel Stiftung haben sich die drei Sozial-Akteure dazu erstmals im November 2010 zusammengesetzt. „Am Anfang dachten wir alle, das geht schnell, aber es hat doch einige Jahre gebraucht, bis das Modell so richtig gepasst hat“, blickt Rainer Höll, damals Partner von Ashoka Germany, zurück. Ashoka unterstützt Changemaker des sozialen Unternehmertums und hat den Collective Impact-Prozess von „Bildung als Chance“ strategisch begleitet. Und tatsächlich verlangt Collective Impact einen Change in den Köpfen. „Die Gefahr ist, dass die Akteure in die Ego-Falle tappen“, erläutert Höll. Und die Gefahr lauere immer dann, wenn Beteiligte den Eindruck hätten, dass sie bei der Kontrolle der Aktivitäten oder in der Außenwahrnehmung zu kurz kämen. 

Der Prozess des Zusammenfindens 

Genau das war bei „Bildung als Chance“ aber nicht der Fall. Von Anfang haben sich alle Beteiligte in den Hintergrund geschoben, um die gemeinsame Sache voranzutreiben. Und die heißt: Kindern und Jugendlichen durch ein konzertiertes Bildungsengagement eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Einen weiteren Aspekt, der hilfreich für die Annäherung war, betont Murat Vural, Geschäftsführer von Chancenwerk: „Wir hatten mit der Haniel Stiftung nicht nur einen Financier an unserer Seite, sondern auch einen Partner, der uns viel Zeit und Freiheiten ließ.“ Und so starteten eine Reihe von Meetings und Workshops, in denen nach und nach der gemeinsame Auftrag formuliert, die Verzahnung des Portfolios abgestimmt, ein gemeinsames Verständnis von Qualität und Erfolgsmessung erarbeitet, die Zusammenarbeit mit Schulträgern und Kommunen besprochen und schließlich kooperative Produkte entwickelt wurden. Dass man sich für den strategischen Vorlauf ausreichend Zeit nimmt, sieht Höll als zentral an. „Dadurch wird das Rückgrat von Collective Impact gestärkt.“ 

Die gemeinsame Vision 

Fast 10 Jahre nach dem ersten Treffen ist „Bildung als Chance“ zu einem Erfolgsbeispiel für Collective Impact geworden. Aus gemeinsamen Werten wurde ein gemeinsames Wirken. Heute ist das Kooperationsprojekt an 22 Duisburger Schulen aktiv und erreicht dadurch 1.200 Schülerinnen und Schüler. Und der Export nach Hamburg ist schon auf den Weg gebracht. Die integrierten Maßnahmen reichen von innerschulischen Angeboten wie Lernförderung bis zu außerschulischen Initiativen wie Jugendkulturfestivals oder Wanderprojekte. Doch gemeinsam haben die Sozialpartner mit der Haniel Stiftung noch viel mehr vor. Die Vision heißt: Jeder Schüler verässt künftig seine Schule mit einem berufsqualifizierenden Abschluss. Das ist ambitioniert. Aber besser als zuvor wissen alle Beteiligte: Dieses Ziel erreicht keiner alleine. Sondern nur gemeinsam. 

Das Prinzip Collective Impact 

Die Methode des gemeinsamen Wirkens – Collective Impact – wurde 2011 erstmals im Stanford Social Innovation Review von John Kania und Mark Kramer beschrieben. Sie fußt auf der Erkenntnis, dass komplexe gesellschaftliche Herausforderungen nicht mehr durch isoliertes Handeln, sondern durch die Zusammenarbeit mehrerer sozialer Akteure unter Einbindung von Zivilgesellschaft, Kommunen und Wirtschaft gelöst werden können. 

Zur Methode gehören fünf strategische Schritte: 

1. Wir definieren ein gemeinsames Ziel.
2. Wir entwickeln eine gemeinsame, verbindliche Agenda.
3. Wir definieren messbare Ziele und Meilensteine.
4. Wir stellen permanente Kommunikation sicher.
5. Wir errichten ein professionelles Kooperationsmanagement (Rückgratorganisation). 

Von Haniel Stiftung