© Christian Gogolin
Interview

„Es ist das Wenigste, was ich zurückgeben kann.“

Vom Stipendiaten zum Kurator: Der Wirtschaftsethiker Nils Ole Oermann über seinen Weg zur Haniel Stiftung, Werte und die wichtigste Kardinaltugend.

Sie waren Haniel Stipendiat. Wie hat denn Ihre Verbundenheit zur Haniel Stiftung begonnen?
Das war 2001 bis 2003. Die Haniel Stiftung förderte mich über ein McCloy-Stipendium in Harvard. Die finanziellen Mittel haben mir damals sehr geholfen, mich auf mein Studium zu konzentrieren und meinen Master in Public Administration zu machen – überhaupt nach Amerika zu kommen. Das hätte ich mir sonst gar nicht leisten können. 
Auf die Haniel Stiftung bin ich damals über eine Lecture-Veranstaltung gekommen. Das Thema hieß „Leben, um zu arbeiten und umgekehrt“. Und es ist ja heute noch aktuell.

Aus diesen Anfängen entstand eine lange, fruchtbare Beziehung ... 
Kann man so sagen. Wir haben gemerkt, dass die Chemie stimmt. Warum also nicht einige Projekte und Publikationen gemeinsam angehen, die ich im Zuge meiner Tätigkeit als Hochschulprofessor und in der Ethikforschung unternahm? Parallel durfte ich auch an vielen Lectures mitwirken. Der Kontakt ist immer lebendig geblieben. Von Anfang an war er geprägt von gegenseitiger Zuneigung und Interesse.
In dem Zusammenhang möchte ich etwas sagen, das mir am Herzen liegt. Ich bin dankbar für das, was die Haniel Stiftung für mich getan hat. Sie hat für mich Geld in die Hand genommen und an mich geglaubt. Deshalb ist es für mich das Wenigste, etwas zurückzugeben und mich einzubringen.

Was ist es, das Ihre Beziehung zur Stiftung so besonders macht?
Die Haniel Stiftung ist keine abstrakte Organisation. Was sie ausmacht, ist ihr familiärer Charakter. Über all die Zeit wächst natürlich tiefes Verständnis und Vertrauen zueinander. Ich weiß und wusste immer: Ich kann mich auf die Menschen in der Stiftung jederzeit verlassen. Wenn die Stiftung zum Beispiel eines meiner Studienprojekte förderte, wurde mir immer Freiheit gewährt. Niemand nahm Einfluss und es ging immer um die Sache. Diese Unabhängigkeit macht die Haniel Stiftung aus – und das verhält sich nicht bei jeder Stiftung so. 
Deshalb war die Haniel Stiftung die Einzige, die ich mit Freude auch privat in mein Haus ließ. Gegenseitig gab es immer offenen Türen für den Austausch und gemeinsame Projekte. Wir haben einfach gemeinsame Koordinaten und Vorstellungen von den Dingen.

Sie sprechen die gemeinsamen Koordinaten an. Für welche Werte steht in Ihren Augen die Haniel Stiftung?
Für mich sind das die klassischen Sekundärtugenden wie Pflichtbewusstsein und Wahrhaftigkeit. Aber ich möchte die Verlässlichkeit herausstellen. Wenn es um größere Projekte und viel Geld geht, weiß ich einfach: Bei der Haniel Stiftung spreche ich mit Leuten, auf die ich zählen kann, die verbindlich sind und gemeinsam mit mir schauen, wie ich mit wem zum Ziel komme. Daraus entstehen dann eben auch besondere Projekte oder Veranstaltungen. Das habe ich seit nunmehr 18 Jahren so erlebt. 

Kurz zurück zu Ihrem Stipendium. Stichwort Auswahlkriterien: Hat die Haniel Stiftung das Gespür für die Richtigen?
Bei meinem Stipendium war es so, dass die Haniel Stiftung die Auswahl komplett in die Hände der Studienstiftung gelegt und sich auf deren Entscheidung verlassen hat – also auf eine neutrale, vom Steuerzahler finanzierte Organisation. Das hat bei mir ja auch wunderbar geklappt. Aber das müssen Sie als Stiftung auch erst mal zulassen. Woanders neigt man eher dazu, die Agenda über die Person zu stellen – zum Beispiel mehr auf Quoten zu achten oder bestimmte Mehrheiten oder Minderheiten zu bedienen. Bei der Haniel Stiftung war es immer so, um mit Oscar Wilde zu sprechen: „Ich habe einen einfachen Geschmack – immer nur das Beste“. 

Wie hat sie die Haniel Stiftung auf Ihrem beruflichen Weg beeinflusst?
Das Stipendium in den USA hat mir viele Türen geöffnet. Ich wäre sonst sicher nicht in das Sommerprojekt mit Wolfgang Schäuble gekommen, geschweige denn in sein Büro. Vieles wäre anders verlaufen. Später hielt Schäuble eine Haniel Lecture über transatlantische Beziehungen. Doch dazu hat mich niemand gedrängt nach der Devise: „Oermann, du hast doch den Schäuble-Kontakt, kannst du da nicht was deichseln?“ Die Haniel Stiftung macht hier keinen Druck und ist sehr zurückhaltend, ja bescheiden. Auch das sind typische Stiftungs-Werte. 
Auf der Haniel Lecture gab es neben Schäuble noch einen zweiten Redner: Professor Joseph Ney, einen überaus klugen Dekan der Harvard’s John F. Kennedy School of Government. Der Zugang zu solchen Persönlichkeiten wäre mir nie ohne die Förderung möglich gewesen. Das meine ich mit „etwas zurückgeben“. 

Was bedeuten die regelmäßigen Stipendiatentreffen für Sie?
Wenn ich dorthin gehe, weiß ich: Ich lerne Leute kennen, die mir etwas mitgeben und von denen ich auch später persönlich oder thematisch etwas lerne.  
Dabei bergen Stiftungsveranstaltungen und die Begegnung mit den Menschen immer auch das Potenzial für Neues. Im Zusammenhang mit dem China-Programm der Haniel Stiftung kam mir die Idee zu meinem Buch über „Wirtschaftskriege – Geschichte und Gegenwart“, das ich mit Hans-Jürgen Wolff verfasst habe. Wieder ein Beispiel, wie sich mit und aus der Stiftung heraus etwas Spannendes ergibt – ohne dass ein Kalkül dahintersteht. Diese Unaufdringlichkeit ist ein Wesensmerkmal der Stiftung.

Heute sind Sie Kurator in der Haniel Stiftung. Wie kam es dazu?
Ich habe einen Anruf bekommen und wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Natürlich konnte ich mir das vorstellen! Wir haben so viel zusammen gemacht und ich profitierte so sehr von der Stiftung, dass das für mich keine Frage war. Aber nochmal: Es ist die Regelmäßigkeit und die Gegenseitigkeit unserer Beziehung, die dorthin führte. Die Stiftung hat meine Habilitationsschrift „Anständig Geld verdienen?“ und später meinen Forschungsbereich Religion und Politik an der Humboldt Universität gefördert. Sie hat auch das Vertrauen in mich gesetzt, dass ich Lectures und Stipendiatenprogramme mitgestalten und etwas einbringen durfte. Deshalb war die Berufung in das Kuratorium eine große Ehre für mich, die ich bescheiden annahm.

Warum ist Ihnen die Tätigkeit im Kuratorium wichtig?
Dass ich etwas zurückgeben kann, das ich zuvor in Lectures oder bei Veranstaltungen punktuell tun konnte, jetzt aber betrifft es die Mitgestaltung der Geschicke der Stiftung als Solche. Für mich ist das ein Privileg. Und das mache ich gemeinsam mit Menschen, die meinen Rat schätzen und umgekehrt ich ihren.

Welche Rolle spielen im Gremium geteilte Werte?
Gegenfrage: Was sind denn Werte eigentlich? Ich beschäftige mich ja schon seit Längerem damit im Zusammenhang mit meinen Forschungen und Arbeiten zum Thema Ethik. Werte sind immer individuell. Das heißt, sie sind an die Persönlichkeit gebunden. Die Frage ist also: Was ist Ihnen eine Sache wert und welche Personen verbinden Sie damit? Das ist auch die Antwort auf die Frage, warum ich gern zu den Kuratoriumssitzungen gehe. Ich weiß, dass hier im Gremium Menschen vertreten sind, die mein Koordinatensystem teilen und auf die ich mich in der Sache verlassen kann. Und wenn wir Dinge gemeinsam besprechen, tun wir das extrem offen und kollegial. Das entspricht meinen Vorstellungen, wie man miteinander arbeitet. 

Kann man also bei der Stiftung sagen: Hier steht die Sache immer über den Personen?
Ich würde es anders formulieren: die Sache sind die Personen! 

Wenn eine Person Werte verkörpert und für die Sache steht: Reden wir da nicht auch von Charakter?
Da antworte ich wieder mit einer Gegenfrage: Was ist Charakter? Platon sprach von vier Kardinaltugenden: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit. Welche ist die wichtigste? Die Gerechtigkeit! Weil sie die einzig soziale ist. Es geht also darum, sich mit seinem hoffentlich guten Charakter für eine Sache und durch seine Persönlichkeit für einen höheren Wert einzusetzen – zum Beispiel für das Gemeinwohl. Auch dafür steht die Haniel Stiftung. Und deshalb finde ich mich bei ihr wieder. 

Von Haniel Stiftung

Zur Person

Univ. Prof. Dr. Dr. Nils Ole Oermann gilt laut Handelsblatt als einer der profiliertesten deutschen Wirtschaftsethiker. Er wurde in Oxford promoviert und habilitierte sich mit der wirtschaftsethischen Arbeit „Anständig Geld verdienen“. In Harvard erwarb er einen Master in Public Administration – unterstützt durch ein McCloy-Stipendium der Haniel Stiftung. 2009 wurde Oermann als Professor für Ethik mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit und nachhaltiges Wirtschaften an die Leuphana Universität Lüneburg berufen. Seit 2018 ist er zudem Associate Faculty Member an der Universität Oxford.